Faktencheck Rücken

Jeder Fünfte geht mindestens einmal im Jahr auf Grund von Rückenschmerzen zum Arzt, viele sogar mehrmals. Daraus folgen über 38 Millionen Arztbesuche und rund 6 Millionen Röntgen-, CT-, und MRT-Aufnahmen des Rückens. Viele davon wären vermeidbar, wenn Betroffene besser informiert und Ärzte sich verstärkt an medizinischen Leitlinien orientieren würden.

 


Wenn der Rücken schmerzt, reagieren Patienten und Ärzte häufig übertrieben

Für den Faktencheck Rücken wurde zum einen eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage zu den Einstellungen und Verhaltensweisen der Deutschen zum Thema Rückenschmerzen durchgeführt. Zum anderen wurden Krankenkassendaten im Hinblick auf ambulante Behandlungsfälle und Bildgebung bei Rückenschmerzen analysiert. Das Fazit: Erhebliche Wissensdefizite und falsche Erwartungen der Betroffenen treffen auf ein häufig nicht leitliniengerechtes Handeln der Ärzte.

Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Rückenschmerzen oft einfach kommen und wieder gehen. Über die Hälfte der im Juni 2016 befragten Bundesbürger war der Ansicht, dass man mit  Rückenschmerzen immer zum Arzt gehen und sich schonen müsse. Ebenfalls gut 50 Prozent glauben nicht, dass Rückenschmerzen „oft von alleine verschwinden“. Etwa 85 Prozent der akuten Rückenschmerzen gelten jedoch als nicht spezifisch, d.h. eine genaue Ursache lässt sich oft nicht ermitteln. Diese bessern sich meistens nach einigen Tagen oder Wochen und erfordern nur eine sehr begrenzte symptomatische medizinische Behandlung.

Die Unkenntnis und überhöhten Erwartungen der Patienten räumen Ärzte aber nicht immer aus. Dadurch kommt es neben übermäßig vielen Arztbesuchen auch zu teils unnötigen Bildaufnahmen. Allein 2015 haben Ärzte über sechs Millionen Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen vom Rücken veranlasst. Bei 22 Prozent wurde eine Aufnahme vom Rücken bereits im Quartal der Erstdiagnose angeordnet. Bei jedem zweiten Betroffenen wurde ein Bild veranlasst, ohne vorher einen konservativen Therapieversuch, zum Beispiel mit Schmerzmitteln oder Physiotherapie, unternommen zu haben. Ärztliche Leitlinien empfehlen jedoch bei Rückenschmerzen ohne Hinweise auf gefährliche Verläufe (beispielsweise Wirbelbrüche oder Entzündungen) vorerst keine bildgebende Diagnostik zu verordnen.

 

Medizingläubigkeit der Bevölkerung und ärztliche Versorgung verstärken das Problem

Die Logik, das mehr Diagnostik und mehr Behandlung zu mehr Gesundheit führt ist weit verbreitet. Dabei ist bei Rückenschmerzen oft das Gegenteil der Fall: Die Befunde der Bildgebung werden häufig überbewertet. Dies führt zu unnötigen weiteren Untersuchungen oder gar Behandlungen, zur Verunsicherung der Betroffenen und kann sogar zur Chronifizierung der Beschwerden beitragen.

In Erklärungsversuchen zu der hohen Zahl bildgebender Verfahren wird immer wieder der explizite Patientenwunsch benannt. Tatsächlich zeigen die Befragungsergebnisse des „Faktencheck Rücken“ jedoch etwas anderes: Drei Viertel der Betroffenen sagen, dass ausschließlich der Arzt die Bildgebung vorgeschlagen habe. Auf der anderen Seite glauben jedoch 69 Prozent der Bevölkerung, dass man mit  Bildgebung die Ursache von Rückenschmerzen zuverlässig findet – und erwarten vom Arzt eine entsprechende Verordnung. So scheint es, dass sich die Erwartungshaltungen von Arzt und Patient gegenseitig verstärken und Patienten den ärztlichen Vorschlag einer Bildgebung gern annehmen.

 

Arztbesuche und Untersuchungen variieren regional erheblich 

Wer mit Rückenschmerzen wie häufig zum Arzt geht, variiert regional. So suchen beispielsweise Betroffene in Berlin oder Bayern häufiger den Arzt auf als in Hamburg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Auf Kreisebene gibt es teils erhebliche Unterschiede: Zwischen 2009 und 2015 gab es beispielsweise durchschnittlich in den brandenburgischen und niedersächsischen Kreisen Ostprignitz-Ruppin und Rotenburg/Wümme 306 Behandlungsfälle pro 1.000 Versicherten. Im hessischen Werra-Meißner-Kreis waren es dagegen 711 und im bayrischen Dingolfing-Landau sogar 730 Fälle jährlich. Und Ärzte verordnen Röntgen-, CT-, und MRT-Aufnahmen von Region zu Region anders: So werden im Saarland rund 30 Prozent mehr Bildaufnahmen veranlasst als in Sachsen-Anhalt.

Statische Karte Behandlungsfälle In den blau eingefärbten Regionen ist die Anzahl von Arztbesuchen (Behandlungsfällen) auf Grund von Rückenschmerzen gering, in den orange eingefärbten Regionen dagegen hoch.

Ärztliches Vergütungssystem überarbeiten und Versorgungskoordination verbessern

Um den Krankheitsverlauf bei Rückenschmerzen abzuschätzen, ist das Arzt-Patienten-Gespräch zentral – das im Gegensatz zu den teuren Bildgebungsverfahren derzeit nur unzureichend vergütet wird. Eine leitlinienkonforme Gestaltung des Honorarsystems sollte darüber hinaus Bildgebung bei Rückenschmerzen nur bei streng definierten Indikationen erstatten. In der kanadischen Region Ontario beispielsweise erhalten Ärzte seit 2012 keine Vergütung mehr, wenn sie bildgebende Diagnostik bei Rückenschmerzen ohne erkennbaren gefährlichen Verlauf veranlassen. Seitdem ist die Zahl der verordneten Bildaufnahmen deutlich zurückgegangen. Außerdem könnten striktere Zugangsbeschränkungen zu Röntgen-, CT- und MRT-Geräten unnötige und im Zweifelsfall gesundheitsschädliche Aufnahmen ebenfalls reduzieren, wie beispielsweise in den Niederlanden.

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