Faktencheck Rücken

Patienten mit Rückenschmerzen werden in Deutschland regional sehr unterschiedlich versorgt. Dabei fällt auf, dass der Wohnort der Patienten oftmals bestimmt, ob sie konservativ behandelt oder operiert werden. Zudem boomt die stationäre Versorgung, obwohl viele Krankenhausaufenthalte bei Rückenbeschwerden vermeidbar wären.


In manchen Regionen wird bis zu 13-mal häufiger operiert als andernorts

Rückenbeschwerden zählen zu den großen Volksleiden, erfordern aber nur in ganz bestimmten Fällen eine Operation. Der Faktencheck Rücken zeigt allerdings, dass operative Eingriffe aufgrund von Rückenbeschwerden zunehmen und je nach Wohnort der Patienten unterschiedlich häufig durchgeführt werden: Es gibt Unterschiede bis zum 13-Fachen. Für diesen Faktencheck wurde in allen 402 Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands die Häufigkeit der folgenden drei  Eingriffe am Rücken untersucht: Versteifungsoperationen (Spondylodesen), Entfernungen knöcherner Strukturen am Wirbelkanal (Dekompressionsoperationen) und Bandscheiben-OPs.

Gravierende regionale Unterschiede bei OP-Häufigkeiten

Gravierende regionale Unterschiede zeigen sich bei der Häufigkeit der aufwendigen Versteifungsoperation: In den Kreisen Fulda und Hersfeld-Rotenburg (beide Hessen) wird sie fünfmal häufiger durchgeführt als im Kreis Ravensburg (Baden-Württemberg) oder in Essen; im Vergleich zu Frankfurt (Oder) sogar 13-mal häufiger. Besonders hohe Operationszahlen weisen viele Kreise in Thüringen, Hessen und im Saarland auf. Hingegen werden Versteifungsoperationen in den meisten sächsischen Kreisen und in Bremen deutlich seltener durchgeführt. Bei Dekompressionsoperationen am Wirbelkanal wurden ebenfalls Unterschiede bis zum 13-Fachen, bei Bandscheibenoperationen bis zum 6-Fachen festgestellt.

Auffällig ist dabei, dass Versorgungsmuster in einigen Regionen Deutschlands auf Nachbarkreise abfärben: So ist in Nord- und Osthessen sowie im angrenzenden Westthüringen innerhalb der letzten acht Jahre ein zusammenhängendes Gebiet entstanden, in dem fast alle Stadt- und Landkreise sehr hohe Operationsraten zeigen.

Häufigkeit des operativen Eingriffs Lesehilfe: In den blau eingefärbten Regionen ist die Anzahl von operativen Eingriffen gering, in den orange eingefärbten Regionen dagegen hoch.

 

Immer mehr Rückenoperationen 

Neben den starken regionalen Unterschieden wurde eine Zunahme der operativen Eingriffe festgestellt: Von 2007 bis 2015 kletterten sie von 452.000 auf 772.000, ein Anstieg um 71 Prozent. Bei den drei untersuchten Eingriffen betraf das besonders die Entfernung von Wirbelteilen, die eine Verengung des Rückenmarkkanals verursachen. Die Zahl dieser „knöchernen Dekompressionen“ hat um rund 130 Prozent zugenommen – von 48.000 Eingriffen 2007 auf 111.000 im Jahr 2015. Besonders stark war die Steigerung in Thüringen, wo sich die Zahl dieser Operationen in acht Jahren verdreifachte. Aber auch Operationen zur Verblockung oder Versteifung von Wirbelkörpern nahmen im gleichen Zeitraum um 57 Prozent von 46.000 auf 72.000 zu.

Viele Krankenhausaufenthalte sind vermeidbar

Parallel zu den OP-Zahlen hat sich auch die Zahl der Krankenhausaufenthalte aufgrund von Rückenerkrankungen (ICD-Gruppe M40-54) von 2007 bis 2015 um 154.000 auf 611.000 Fälle pro Jahr erhöht. Das entspricht einem Zuwachs von 34 Prozent. Zum Vergleich: Die Zahl aller stationären Behandlungen ist im gleichen Zeitraum nur um 12 Prozent gewachsen. Bei der für den Faktencheck betrachteten Hauptdiagnose „Rückenschmerzen“ (M54) war der Anstieg mit 73 Prozent auf bundesweit 200.000 stationäre Fälle 2015 besonders drastisch.

Auch hier fallen die großen und zunehmenden Unterschiede zwischen den Kreisen auf: Während beispielsweise in Heidelberg nur 58 oder in Kiel 91 von 100.000 Menschen mit der Diagnose Rückenschmerzen (M54) ins Krankenhaus kommen, sind es im westfälischen Hamm 815 und in Osterrode am Harz 919. Bei dieser Diagnose sind Klinikaufenthalte jedoch häufig vermeidbar. Die Mehrzahl dieser Patienten erhält im Krankenhaus keine spezifische Schmerztherapie oder operative Eingriffe, sondern überwiegend lediglich diagnostische Leistungen, beispielsweise ein MRT. Solche Maßnahmen könnten zumeist auch ambulant erfolgen.

Die Entscheidung für einen operativen Eingriff darf nicht aufgrund von individuellen Vorlieben der ortsansässigen Ärzte fallen.

Eckhard Volbracht, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung

Operieren oder nicht – das hängt auch von den Gewohnheiten der Ärzte ab

Warum die Versorgung in den Regionen so unterschiedlich ist, lässt sich mit den zur Verfügung stehen Daten nur schwer erklären. Viele Faktoren spielen zusammen und das je nach Region unterschiedlich stark. Große regionale Abweichungen sind jedoch ein Indiz dafür, dass sich die Organisation der Versorgung und die Vorgehensweise bei Diagnostik und Therapie von Rückenbeschwerden sehr stark unterscheiden. „Lokale Versorgungsmuster verstärken sich, wenn klare medizinische Leitlinien fehlen“, sagt Eckhard Volbracht, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Ohne einheitliche Leitlinien eröffnen sich Ärzten Behandlungsspielräume, die zu regional unterschiedlichen Versorgungsgewohnheiten führen können.

Planung und Steuerung am Patientenwohl ausrichten

Bisherige Versuche, die Versorgung bedarfsgerechter zu gestalten, konnten die erheblichen Anstiege der stationären Aufnahmen und operativen Eingriffe sowie die großen regionalen Unterschiede nicht verhindern. Unterschiedliche Interessen und ungeklärte Zuständigkeiten stehen notwendigen Verbesserungen oft im Weg. Deshalb braucht es eine effektive Planung und Steuerung. Zudem sollten Ärzte verständlich über Nutzen und Risiken von Behandlungen informieren und unabhängig von finanziellen Interessen gemeinsam mit dem Patienten über das weitere Vorgehen entscheiden.

Die wesentlichen Handlungsempfehlungen der Bertelsmann Stiftung auf einen Blick:

  • Regionale Unterschiede deutlich machen und Transparenz vor Ort herstellen
  • Medizinische Leitlinien entwickeln und anwenden
  • Patienten umfassend über die Vor- und Nachteile von Behandlungsalternativen informieren
  • Strukturplanung und Finanzierung verbessern

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