Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung: In wohlhabenden Landkreisen erhalten bis zu dreimal mehr Patienten ein künstliches Kniegelenk als in weniger wohlhabenden

Ein Arzt erklärt einer Patientin an einem Modell-Skelett den Aufbau des Kniegelenks.

Die Wahrscheinlichkeit, ein künstliches Kniegelenk zu erhalten, hängt vom Wohnort ab. Der aktuelle Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass bei Patienten in Bayern erheblich häufiger Erst-Implantationen von künstlichen Kniegelenken vorgenommen werden als bei Patienten im Nordosten Deutschlands.

Im bundesweiten Durchschnitt wird jährlich 130 pro 100.000 Einwohnern ein neues Kniegelenk eingesetzt. Die Häufigkeit dieser Operationen unterscheidet sich jedoch von Region zu Region erheblich. Im Jahr 2011 haben im bayerischen Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim 214 pro 100.000 Einwohner ein künstliches Kniegelenk erhalten. Der Anteil ist damit rund dreimal so hoch wie im brandenburgischen Frankfurt/Oder, wo auf 100.000 Einwohner lediglich 73 Kniegelenkersatz-OP kamen.

Dass der Spitzenreiter unter den Landkreisen aus Bayern und das Schlusslicht aus dem Nordosten kommt, ist kein Zufall: In Bayern, Hessen, Thüringen und Teilen Niedersachsens ist die Häufigkeit von Kniegelenksoperationen generell deutlich höher als in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg. Noch deutlicher unterscheidet sich die Häufigkeit von Folgeeingriffen am operierten Knie, etwa aufgrund erneuter Schmerzen oder für einen Prothesenwechsel. Diese Operationen kommen in manchen Landkreisen fünfmal öfter vor als in anderen.

Für den aktuellen Faktencheck Gesundheit hatte eine Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC) anonymisierte Daten der AOK ausgewertet. Eine ungleiche Versorgungssituation gibt es demnach auch entlang der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg: In sämtlichen bayerischen Landkreisen direkt an der Grenze erhalten anteilig mehr Patienten künstliche Kniegelenke als in den baden-württembergischen Nachbarkreisen. "Welches Versorgungsniveau angemessen ist, können wir nicht sagen – dafür fehlen verbindliche Leitlinien für dieses Behandlungsgebiet", sagte Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. "Es ist aber offensichtlich, dass nichtmedizinische Faktoren die Versorgung beeinflussen. Ärztliche Leitlinien könnten hier Abhilfe schaffen."

Der Faktencheck Gesundheit zeigt erstmals, dass auch sozioökonomische Faktoren Einfluss auf die Häufigkeit von Kniegelenk-OP haben können. "In wohlhabenden Gegenden wird häufiger am Knie operiert, obwohl die Menschen in solchen Regionen tendenziell seltener an Arthrose leiden", sagte Etgeton. Mögliche Ursachen, so der Report, könnten sein, dass sich Versorgungsdichte, ärztliche Empfehlungen, die Nachfrage nach operativen Eingriffen und die Erwartungen an Lebensqualität regional unterscheiden.

Der Faktencheck Gesundheit legt weiterhin den Schluss nahe, dass – anders als von vielen Fachleuten bislang vermutet – Voruntersuchungen durch Spiegelungen (Arthroskopien) die Zahl der Kniegelenkersatz-Operationen nicht verringern. Im Gegenteil: In Regionen, in denen vergleichsweise viele Arthroskopien durchgeführt werden, werden auch viele künstliche Kniegelenke eingesetzt.

Wie alle bisherigen Themen des Faktencheck Gesundheit enthält auch der Faktencheck Knieoperation (siehe den Link in der rechten Spalte) neben dem wissenschaftlichen Report viele nützliche Informationen für Patienten. Zur Vorbereitung auf ein Arztgespräch oder einen Eingriff können sich Patienten über Nutzen und Risiken von Kniegelenkersatz und Kniespiegelung informieren und ihr Wissen mit einem interaktiven Quiz testen. Auf einer interaktiven Deutschlandkarte können sie ablesen, wie häufig in ihrer Stadt oder ihrem Landkreis operiert wird.