Pressemitteilung, 10.07.2014, Gütersloh
Landärztegesetz verfehlt sein Ziel
Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung: Neue Planung führt nicht zu einer gerechteren Ärzteverteilung
Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung: Neue Planung führt nicht zu einer gerechteren Ärzteverteilung
Auf dem Land müssen sich auch künftig erheblich mehr Patienten einen Arzt teilen als in den Städten. An dieser ungleichen und viel kritisierten Verteilung der Ärzte in Deutschland ändert auch das Landärztegesetz wenig, obwohl genau dies vor zwei Jahren erklärtes Ziel des Gesetzgebers war. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung. Zwar könnte sich die Versorgung mit Allgemeinmedizinern in bevölkerungsschwachen Regionen verbessern. Trotzdem erreicht das Landärztegesetz noch nicht einmal in jedem zweiten Landkreis eine bedarfsgerechte Verteilung der Arztsitze. Rückschritte drohen insbesondere bei der Verteilung der Fachärzte, die wohnortnah benötigt werden.
Das 2012 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG), kurz Landärztegesetz genannt, sollte dabei helfen, den Ärztemangel in dünn besiedelten Regionen zu bekämpfen. "Gelungen ist das höchstens in Ansätzen. Im Wesentlichen verfehlt das Landärztegesetz sein Ziel", sagte Dr. Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Die neue Bedarfsplanung zur Verteilung der Ärzte, die Teil des Landärztegesetzes ist, löst vor allem bei der Versorgung mit Fachärzten ihr Versprechen nicht ein: Weiterhin praktiziert etwa ein Drittel der Kinder-, Frauen- und Augenärzte in Großstädten, obwohl hier nur ein Viertel der Bevölkerung lebt.
Bei den Kinderärzten droht sich die derzeitige Schieflage sogar auszuweiten. Nach Umsetzung der neuen Bedarfspläne sinkt die Anzahl der Kreise mit angemessener Ärztedichte von aktuell 106 auf 89. Statt derzeit 14 wären künftig 38 Kreise deutlich unterdurchschnittlich mit Kinderärzten versorgt, während die Zahl der deutlich überdurchschnittlich versorgten Kreise von 15 auf 23 steigt. Nur in 25 Prozent der Kreise (aktuell: 30 Prozent) decken sich die neuen Planungen mit dem Bedarf an Kinderärzten. Bei den Frauenärzten liegt die Übereinstimmung mit nur 18 Prozent noch darunter (aktuell: 19 Prozent). "Die Planung verlangt weiterhin von den Bewohnern des Umlandes, sich in der Stadt behandeln zu lassen", sagte Etgeton.
Zusätzlich verschärfen die neuen Pläne die Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. So werden beispielsweise in Baden-Württemberg überdurchschnittlich viele Gynäkologen vorgesehen – in 17 von 44 Kreisen liegt die Ärztedichte deutlich über dem Bedarf. Der Osten Deutschlands bleibt hingegen mit Frauenärzten deutlich unterdurchschnittlich versorgt. 16 von 23 Kreisen in Thüringen sind betroffen.
Bei der Hausärzteverteilung führt die neue Planung zwar zu einer Verbesserung, dennoch bleiben mehr als die Hälfte der Landkreise unangemessen versorgt. Die Übereinstimmung von Planung und Bedarf steigt von knapp 19 auf mehr als 46 Prozent. Ein Grund für die Verbesserung ist, dass bundesweit einheitlich festgelegt wurde, wie viele Einwohner auf einen Allgemeinmediziner kommen sollen. Bei den Fachärzten hingegen wird den Städten nach wie vor ein besserer Versorgungsschlüssel eingeräumt als den ländlichen Gebieten. "Die neue Planung zementiert regionale Unterschiede in der Versorgung mit Fachärzten", sagte Etgeton. Auf einen Kinderarzt in der Stadt kommen 2.405 Kinder, während er auf dem Land für 3.859 Kinder zuständig ist. Die Bertelsmann Stiftung spricht sich deshalb dafür aus, auch bei den Planungen wohnortnah benötigter Fachärzte die Verhältniszahlen zwischen Einwohner und Arzt anzugleichen und die Planungsgebiete kleinräumiger zuzuschneiden. So lasse sich eine bedarfsgerechtere Verteilung der Ärzte erzielen.
Außerdem kritisiert der Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung, dass die Bedarfsplanung zu viele Faktoren ausblende, die den Versorgungsbedarf einer Region beeinflussen. Dazu zählen Alterungsentwicklung, Einkommen, Arbeitslosenquote oder Pflegebedürftigkeit. Der entscheidende Schritt sei aber auch nach der Optimierung der Planungen noch zu machen: "Die besten Pläne nützen nichts, wenn es keine Strategien für die Umsetzung gibt. Die Verbesserung etwa bei den Landärzten steht vorerst nur auf dem Papier. Wenn sie Realität werden soll, muss der Job des Landarztes für Nachwuchsmediziner attraktiver werden. Dabei geht es sowohl um finanzielle Anreize als auch um die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Land", sagte Etgeton.
Zur Methodik: Das Berliner Forschungsinstitut IGES hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die aktuelle und geplante Verteilung von Haus-, Kinder-, Frauen- und Augenärzten auf regionaler Ebene (Bedarfsplanung nach Versorgungsstrukturgesetz) untersucht. Beide Planungen wurden mit eigenen Berechnungen zum relativen Versorgungsbedarf dieser Regionen verglichen. Anders als die Bedarfsplanung zieht der relative Versorgungsbedarf sozioökonomische und morbiditätsbezogene Faktoren in die Berechnungen mit ein. Der Faktencheck Gesundheit zeigt für jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt in Deutschland, wie sich die Versorgungslage ändert und ob die Planung den relativen Bedarf deckt, über- oder unterschreitet.
Die komplette Studie und Hintergrundinformationen finden sich auf www.faktencheck-ärztedichte.de. Auf interaktiven Karten lassen sich die Planungen für die Fachärzte ablesen und vergleichen.